§§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; Abs. 1 S. 2 BtMG – Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige
Worin besteht bei der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige die strafbare Handlung?
Unter der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige ist unter Anlehnung an die entsprechende Rechtsprechung zur Abgabe von Betäubungsmitteln die unerlaubte Übertragung der eigenen tatsächlichen Verfügungsgewalt über sterile Einmalspritzen ohne rechtsgeschäftliche Grundlage und ohne Gegenleistung an einen Dritten zu verstehen, der über die sterilen Einmalspritzen frei verfügen kann (vgl. hierzu BGH NStZ 1991, 89 = StV 1990, 548; BGH NStZ 2014, 717 = StV 2014, 612; BGH NStZ-RR 2015, 218; BayObLG NStZ 2004, 401 = StV 2004, 606). Gemäß den Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG muss dieser Vorgang zudem außerhalb von Drogenkonsumräumen im Sinne des § 10a BtMG erfolgen.
Das bedeutet im Prinzip zunächst nichts anderes, als dass unter der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige die unerlaubte Übergabe von sterilen Einmalspritzen an (noch) nicht Süchtige außerhalb von der durch das Gesetz eingeräumten Drogenkonsumräumen zu begreifen ist.
ACHTUNG: Ob es sich bei der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige um einen vom Betäubungsmittelgesetz erfassten Straftatbestand handelt, ist umstritten (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, BtMG § 29 Teil 25 Rn. 1; abl. wohl Eberth/Müller/Schütrumpf, Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, S. 51 Rn. 108). Das Gesetz spricht nur von der Straflosigkeit der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Drogenabhängige, welche nicht unter § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG fallen soll. Als Umkehrschluss lässt sich hieraus aber auch gerade die Strafbarkeit der Abgabe an Nicht-Drogenabhängige ziehen. Ob sich dies tatsächlich mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Artikel 103 Abs. 2 GG („Keine Strafe ohne Gesetz“) vereinbaren lässt, bleibt abzuwarten, erscheint aber insgesamt unwahrscheinlich. Grundsätzlich bleibt aber die Möglichkeit bestehen, dass in einem solchen Fall dennoch ermittelt werden kann.
Wann kann eine Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige vorliegen?
Trotz der dogmatischen Bestimmungsschwierigkeiten lassen sich einzelne Tatbestandsmerkmale klar aus dem Gesetz herauslesen: So kann den Tatbestand nur verwirklichen, wer sterile Einmalspritzen abgibt. Nicht steril sind aber bereits gebrauchte Einmalspritzen, deren Ausgabe somit nicht vom Tatbestand erfasst wird. Stattdessen könnte die Abgabe solcher Spritzen an Gesunde allenfalls das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit berühren, sofern die Abnehmer nicht über den vorherigen Gebrauch der Spritzen und ihren damit gesundheitsgefährdenden Charakter informiert worden sind. Liegt eine solche Information nicht vor, käme eine Strafbarkeit nach den Vorschriften der §§ 223ff. StGB in Betracht.
Außerdem kann gemäß des Ausschlusskriteriums im § 29 Abs. 1 S. 2 BtMG nur die Abgabe an nicht Nicht-Drogenabhängige erfasst sein. Ist der Betreffende bereits abhängig von Betäubungsmitteln, ist die Anwendung des Tatbestands somit ausgeschlossen.
Überdies muss auch wirklich eine Abgabe vorliegen, also das Erlangen des faktischen Besitzes an den sterilen Einmalspritzen durch den Nicht-Drogenabhängigen. Erst wenn dieser die tatsächliche Sachherrschaft über die sterilen Einmalspritzen besitzt, liegt eine vollendete Tat vor.
Auch muss die Tat in einem konkreten Bezug zum Konsum von Betäubungsmitteln stehen, das heißt, es muss für den potentiellen Täter bei Einhaltung der verkehrsüblichen Sorgfaltspflicht ersichtlich gewesen sein, dass die abgegebenen Einmalspritzen für den Konsum von Betäubungsmitteln vorgesehen waren. Zwar ergibt sich dieses Tatbestandsmerkmal so nicht ausdrücklich aus dem Wort, dafür aber aus der Stellung des Tatbestandes im Betäubungsmittelgesetz.
Zuletzt muss die Abgabe außerhalb eines gemäß § 10a BtMG ordnungsgemäß erlaubten Drogenkonsumraumes stattfinden. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 29 Abs. 1 S. 2 BtMG explizit auf § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 verweist. Hierbei ist die negative Form der Verweisung unbeachtlich. Sollte die tatsächlich nicht benötigte Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige in Räumlichkeiten mit entsprechender Erlaubnis durch die oberste Landesbehörde stattfinden, so ist der Tatbestand nicht verwirklicht. Erst außerhalb solcher Räumlichkeiten kann ein geeigneter Tatort vorliegen.
ACHTUNG: Bei der strafbaren Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige handelt es sich zwar um einen Sonderfall des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11, nichtsdestotrotz bildet dieser einen sogenannten Grundtatbestand. Ein höheres Strafmaß käme hier konsequnterweise immer dann in Betracht, wenn Sie bei der Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige gewerbsmäßig gehandelt haben sollen (§ 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG).
Da es sich bei dem Tatbestand um einen Sonderfall des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG handelt, ist gemäß § 29 Abs. 4 im Übrigen auch die fahrlässige Begehung, also die Begehung ohne Vorsatz unter Verletzung einer gravierenden Sorgfaltspflicht, strafbar.
Mir wird die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige vorgeworfen – wie soll ich vorgehen?
Auch wenn der Straftatbestand selbst dogmatisch schwer begründbar bleibt, ist es dennoch möglich, die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Nicht-Drogenabhängige als einen Sonderfall des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG strafrechtlich zu ahnden. Wie zuvor erklärt kommt es bei der Verwirklichung dieses Sonderfalls auf eine vorsätzliche Begehung gar nicht an. Somit ließe sich der Straftatbestand häufig grundsätzlich andenken, falls sich kein anderer Strafgrund finden lässt, und bleibt in seiner Handhabung in der Praxis der Einzelfallentscheidung der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft unterworfen.
Es gilt daher als guter Standard auch hier stets folgende Devise: Ohne Anwalt äußert man sich nicht zu strafrechtlichen Vorwürfen. Bedenken Sie stets, dass wirklich alles, was Sie gegenüber den Ermittlungsbehörden äußern, auch gegen Sie verwendet werden kann und wird.
Da bereits das klassische und gefestigte sich mit Betäubungs- und Arzneimitteln befassende Strafrecht in Deutschland nicht zur juristischen Grundausbildung gehört, empfiehlt es sich gerade in diesen Fällen dringend, einen Experten für das Rechtsgebiet heranzuziehen. Vereinbaren Sie daher schnellstmöglich einen Termin unter 030 120 648 550.