§ 323a StGB – Vollrausch

 

Worin besteht beim Vollrausch die strafbare Handlung?

Die Tathandlung des Vollrausches besteht in dem Sichversetzen in einen Rausch, also in einen Zustand der Enthemmung, der sich in dem für das jeweilige Rauschmittel typischen, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigenden Erscheinungsbild widerspiegelt (BeckOK StGB/Dallmeyer StGB § 323a Rn. 4; Lackner/Kühl Rn. 3; Geppert JURA 2009, 40 (42); BGH BGHSt 32, 48 (53) = NJW 1983, 2889; BayObLG NJW 1990, 2334). In diesem Zustand nun muss eine rechtswidrige Tat begangen worden sein.

 

Das bedeutet im Prinzip nichts anderes, als dass unter dem strafbaren Vollrausch die Begehung von jenen Taten im Zustand des bewusstseinsverändernden Rausches fällt, die ohne diese Regelung aufgrund mangelnder Schuldfähigkeit in Folge des Rausches straffrei geblieben wären.

 

Wann kann ein strafbarer Vollrausch vorliegen?

Zweck der Vorschrift ist es, einen Auffangtatbestand für all die Fälle zu bilden, in denen eine Person selbstverschuldet in einen Rauschzustand gerät, in dem sie wegen ihrer zumindest nicht auszuschließenden Schuldunfähigkeit für ihre rechtswidrigen Taten nicht einzustehen hat (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker StGB § 323a Rn. 6).

 

Dementsprechend wichtig ist die Frage, wann genau ein Rauschzustand im Sinne des § 323a StGB denn vorliegen soll. Hier teilen sich die Meinungen – so halten einige Rechtsmediziner den Begriff für weder qualitativ noch quantitativ definierbar (vgl. hierzu detailliert Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB § 323a StGB Rn. 20). So führte Venzlaff schon 1965 (!) aus, dass kaum zwei Sachverständige darin übereinstimmten, was denn nun eigentlich ein „Vollrausch“ sei (Venzlaff Mediz. Welt 1965, 2623, 2624).  Ein Grundproblem besteht hier auch darin, dass sich der Rausch je nach Rauschmittel und Rauschmittelkonsument unterscheidet (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker StGB § 323a Rn. 5). Letzlich wird der Rauschzustand daher je nach spezifischen Rauschmittel und dem jeweiligen Rauschmittelmittelkonsumenten anhand des äußeren Erscheinungsbildes zu bestimmen sein und bleibt somit in Ermangelung einer absolut praxistauglichen Bestimmungsmethode in der Konsequenz der Einzelfallbetrachtung überlassen. Gerade diese Unbestimmtheit eröffnet der Verteidigung hier entsprechenden Handlungsspielraum.

 

Es kommt nach neuerer Rechtsprechung beim Rausch im Übrigen nicht mehr ausschließlich darauf an, dass der Rausch durch das jeweilige Rauschmittel allein hervorgerufen wird. Es genügt auch schon ein Erreichen der rauschbedingten Schuldunfähigkeit durch das spezifische Rauschmittel unter Hinzutreten von weiteren Umständen (so sinnbildlich BGH NStZ-RR 2011, 80). Dies erweitert den Anwendungsrahmen der Norm beträchtlich, kann so doch auch beispielhaft der vom Training ausgelaugte Hobbyfußballspieler, der nach dem Sport mit Bekannten auf nüchternen Magen mehrere Biere trinkt und anschließend entgegen seiner Erwartung komplett betrunken ist, bei Begehung einer Straftat vom Straftatbestand erfasst sein.

 

Umstritten ist überdies die Frage, in welchem Bezug das schuldhafte Sichberauschen zur rechtswidrig-schuldlosen Nachtat stehen soll. Da gemäß dem Schuldprinzip des § 46 StGB eine Strafe nur für schuldhaft begangene Taten möglich sein soll, ergibt sich aus der bloßen Existenz des § 323a StGB die berechtigte Frage, inwieweit eine Bestrafung des einer Straftat vorgeschalteten eigenhändigen Versetzens in einen schuldlosen Zustand mit diesem Prinzip vereinbar ist. Hier setzen verschiedene Überlegungen an, ob der Vollrausch, welcher zu den gemeingefährlichen Straftaten gehört, die Schaffung einer abstrakten oder einer konkreten Gefahr sanktioniert (im Einzelnen zur Diskussion Kindhäuser/Neumann/Paeffgen § 323a StGB Rn 4ff.). Nach Auffassung verschiedener Oberlandesgerichte handelt es sich beim Vollrausch um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (BayObLG NJW 1974, 1520 (1521) (= JR 1975, 30?m. Anm. Lenckner); OLG Braunschweig NJW 1966, 679 (680?f); OLG Hamburg JR 1982, 345 (346)). Das Team der Kanzlei Luft bevorzugt hingegen die von Paeffgen vertretene Auffassung, dass der Tatbestand des § 323a StGB sich in zwei unterschiedlliche Tatbestände aufspaltet, nämlich einmal in ein abstraktes und einmal in ein konkretes Gefährdungsdelikt (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen § 323a StGB Rn 14ff.). Dabei soll das abstrakte Gefährdungsdelikt nach Paeffgen mit einem engeren, mithin also kleineren Strafrahmen als das konkrete Gefährdungsdelikt behandelt werden (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen § 323a StGB Rn 15), da die Absehbarkeit des Risikos und damit der Grad der Vorwerfbarkeit vom Fall des geplanten Herbeiführens einer Eskalation durch vorangegangenen Rauschmittelkonsum erheblich abweicht. Somit kommt diese Auffassung bei Anwendung zu sachgerechten Urteilen im Einzelfall. Die Kanzlei Luft vertritt im Zweifelsfall auch diese Auffassung mit Nachdruck vor Gericht.

 

In Bezug auf die jeweilige rechtswidrige, aber an und für sich schuldlose Tat gilt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Tat verwirklicht sein müssen. Sofern der Versuch , also die bereits begonnene, aber noch nicht vollendete Tat, ebenfalls strafbar ist, genügt auch dieser, um eine Strafbarkeit wegen Vollrausches gemäß § 323a StGB zu begründen.

 

Das alleinige Sichberauschen ohne die Begehung einer Straftat ist hingegen nicht vom Straftatbestand des Vollrausches erfasst (so Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker StGB § 323a Rn. 1; AW-Hilgendorf BT 40/11, Freund/Renzikowski ZRP 99, 498; Duttge Geppert-FS 72; Geisler aaO 368 ff.; Geppert Jura 09, 41; Renzikowski/Sick ZRP 97, 486; MüKoStGB/Streng MK § 20 RN 152).

 

ACHTUNG: Der strafbare Vollrausch soll nur die Strafbarkeit auf rechtswidrige Handlungen ausweiten, die andernfalls aufgrund von Schuldlosigkeit straffrei geblieben wären, und nicht die Strafverfolgungsvoraussetzungen der von ihm erfassten rechtswidrigen Straftaten heruntersetzen. Bei Straftaten, die ansonsten nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen hin verfolgt werden würden, bedarf es gemäß § 323a Abs. 3 StGB auch dieser jeweiligen Bedingung, auch wenn ihre strafrechtliche Vorwerfbarkeit in den Tatbestand des Vollrausches aufgeht.

 

Mir wird ein strafbarer Vollrausch vorgeworfen – wie soll ich vorgehen?

 

Der strafbare Vollrausch gilt vielen als eine der umstrittensten Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuches, manchen sogar als die umstrittenste schlechthin (so Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB § 323a Rn. 4, BeckOK StGB/Dallmeyer StGB § 323a Rn. 1; MüKoStGB/Geisler StGB § 323a Rn. 1; LK-StGB (1995)/Spendel Rn. 1). Gerade in diesem Spannungsfeld entwickelt daher die Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls mit seinen jeweiligen spezifischen Umständen eine besondere Relevanz.

 

Es gilt daher als guter Standard auch hier stets folgende Devise: Ohne Anwalt äußert man sich nicht zu strafrechtlichen Vorwürfen. Bedenken Sie stets, dass wirklich alles, was Sie gegenüber den Ermittlungsbehörden äußern, auch gegen Sie verwendet werden kann und wird.

 

Da bereits das klassische und gefestigte sich mit Betäubungs- und Arzneimitteln befassende Strafrecht in Deutschland nicht zur juristischen Grundausbildung gehört und für eine sachgerechte Verteidigung beim Vorwurf eines strafbaren Vollrausches Kenntnisse über die Wirkung von rauscherzeugenden Substanzen besonders wichtig sind, empfiehlt es sich gerade in diesen Fällen dringend, einen Experten für das Rechtsgebiet heranzuziehen. Vereinbaren Sie daher schnellstmöglich einen Termin unter 030 120 648 550.